Engadin 2015

_MG_8413GRUPPETag 1.

Ein ohrenbetäubendes Schrillen zerreist die friedliche Idylle der Traumlandschaft durch die ich gerade paddle. Zu meiner Rechten entsteigt dem schlammigen Flussufer plötzlich ein gewaltiger mit Roboter-Klauen bestückter von schwarzem Fell überzogener… Ich wache auf.

Mit der, dem aus dem Winterschlaf geweckten Bären, eigenen Mischung aus animalischer Agression und müdem Unbegreifen fege ich den immer noch fiependen Wecker vom Nachttisch. Er verstummt. Es ist 5:30 und in 35 Minuten fährt mein Zug zum Treffpunkt. Ich falle also in die bereitliegenden Klamotten, schnappe mir Rucksack, Schlafsack und Kamera und stolpere in der Finsternis der in den letzen Zügen liegenden Nacht los zum Bahnhof. Am Bootshaus in Tübingen laden wir Boote und Ausrüstung in Lutz‘ Auto und dampfen ab Richtung Engadin. Einige Stunden unruhigen Dösens später erreichen wir den Ausstieg der Tösener, wo wir bereits von einer Vielzahl bekannter Gesichter erwartet werden. Etwa 30 Minuten später sind auch die letzten Nachzügler eingetroffen und der Moloch von gut über 20 Paddlern nimmt langsam Fahrt auf. Nach einer weiteren Stunde sind wir endlich auf dem wenigen Wasser welches der dürre Sommer und mangelnder Regen übrig gelassen haben. Dementsprechend langsam geht es erst einmal auch voran.

Ein früher aber harmloser Schwimmer, welcher mit freundlicher Unterstüzung von unseren Canadierfahrern zur Verfügung gestellt wird, lässt erstmals ein Gefühl von Wildwasser aufkommen. Kommentar: Machen wir doch gerne (ein Canadierpaddler)

Die geringen Schwierigkeiten der Tösener werden immer wieder durchbrochen von Katarakten im dritten Schwierigkeitsgrad und sind damit Ideal um zurück zu finden zu jener Sicherheit mit welcher man neulich noch im Boot saß. Mit dem Zurückkehren des Sicherheitsgefühls kehrt auch Eleganz und Geschmeidigkeit zurück und Vorfreude auf die folgenden Tage keimt auf. Ohne weitere Komplikationen erreichen wir den Ausstieg wo wir uns nach dem Umziehen alsbald faul ins Gras legen und die für das Engadin typische pralle Mittagssonne geniessen, während weniger gesegnete die restlichen Autos holen. Am Abend werden unsere hungrigen Mägen schließlich mit Suppe und Tagliatelle al Stiebing-express (Lachssahnesoße und Spinat) gefüllt. Im Anschluss daran verleitet uns eine Rote Grütze mit Sahnehäubchen endgültig dazu die Dehnfähigkeit unserer Mägen voll auszureizen. Ein höchst leckerer Tagesabschluss (Dies ist die Meinung des Autors und nicht zwingender Weise die Meinung der anderen Verköstigten).

Tag 2.

Nach einem ausgedehnten Frühstück mit viel Kaffee beginnen die Motoren der Damen und Herrschaften langsam zu schnurren und alsbald wandern, Paddler um Paddler, bunte Farbtupfer durch das erneut in Sonnenschein badende Lavin talwärts gen Inn. Auf den 11 Kilometern der Giarsun-Schlucht werden im Verlauf der Fahrt Helden getauft – so befährt Klemens etwa in einem Akt berechnenden Wagemuts erfolgreich die Preussenschleuder im Canadier – und Zeugen dramatischer Szenen werden immer wieder von sekundenlanger Anspannung erfasst. Fiese Walzen versenken den ein oder anderen unaufmerksamen Paddler und produzieren von kerzelnden Booten über Eskimorollen bis hin zu Schwimmern alles was man sich von einem feuchtfröhlichen Paddeltag zu wünschen vermag. Auch ein Paddel der Marke TyWarp muss leider dran glauben. Glücklicherweiser bestehen die Paddelgruppen jedoch mehrheitlich aus alten Hasen des Kanusports, so dass ein vorsorglich eingepacktes Steckpaddel schnell Abhilfe schafft. Zwei Gruppen fahren im Anschluss an die Giarsun auch noch in die Ardezer Schlucht ein, kehren jedoch, wenn auch ausgepowert und hungrig, wohlbehalten zurück um sich den restlichen Abend im frisch geernteten Ruhm zu sonnen. Doch eine eine breite Zufriedenheit auch unter den anderen Paddlern lässt darauf schliessen dass der Tag für alle erneut ein mehrheitlich gelungenes Erlebnis darstellt. Während ich hier sitze, fernab des Trubels von Kochgruppe und Geschichtentausch, kann ich bereits die ersten zarten Düfte wahrnehmen, welche durch das offene Fenster der unter mir liegenden Küche in unser Schlafzimmer dringen und mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Ich glaube es gibt Gulasch…

Tag 3.

Unsanft werde ich aus dem Schlaf gerüttelt; Frühstück. Sobald ich den Frühstücksraum betrete schallt mir eine Kakophonie des Grauens entgegen. „Happy birthday to you, happy….“. Ich hasse Geburtstage.

Einige Zeit später springe ich in allerletzter Sekunde ins allerletzte Auto dass überhaupt noch irgendwohin fährt. Zur Schulzer Strecke geht es, erfahre ich unterwegs. Na wenigstens werde ich die vor einiger Zeit in den Inn gerutschten Murenabgänge zu Gesicht bekommen. Mit der Kamera im Gepäck geht es talwärts auf dem Fluss dessen strahlendes Blau kaum gegen das allgegenwärtige Grau des Himmels und des stetig verkiesten Ufers anzukommen vermag. Jene vor einiger Zeit abgegangene Muren sind es die den Fluss geradezu aufgefüllt haben mit einer unermesslichen Anzahl kleiner Steine. Diesem Phänomen ist es auch zu verdanken, dass ich mich auf dem Mehrteil der Fahrt geradezu langweile; Denn: der Kies hat alles eingeebnet. Nur noch vereinzelt ragen größere Felsblöcke aus dem Wasser und bilden interessante Strömungen. Nach 11 Kilometern und etwa 262 Fotos später erreichen wir den Ausstieg. Er ist weg. Mit Mühe landen wir Gruppe um Gruppe am rechten Ufer an, versinken knöcheltief im feuchten Sand, immer darauf bedacht nicht mit den abbrechenden Sandklippen in den Fluss zu stürzen. Den frisch getrampelten steilen Uferpfad hinaufgeklettert und schnell noch die obligatorischen High Fives ausgetauscht, laden wir zackig Kajaks und Canadier auf die Autos um der vollen Wucht des einsetzenden Regens gerade noch zu entgehen. Zurück in unserer ‚trauten Hütte in Lavin nutzen wir den erstaunlich jungen Tag um bei Kaffee und Nussecken die gemachten Erfahrungen auszutauschen. Das Abendessen genügt den an den Vortagen gesetzten Erwartungen und weiß mit frisch gebackenem Zwetschgen-Crumble noch eins obendrauf zu setzen. Über den restlichen Abend sind keine erwähnenswerten Vorkommnisse zu berichten.

Tag 4.

Der Begriff Heimfahrt schwebt heute geradezu omnipräsent über den Ereignissen. Beim Frühstück wird ein klein wenig mehr Vesper gemacht als bisher und die Kochgruppe ist beim Spülen und Aufräumen besonders gründlich, denn Nachbessern kann man diesmal nicht. Verschiedenste am Vorabend zurechtgelegte Pläne werden überdacht und ihre Umsetzung an den frisch abgerufenen Pegeln – es hat die ganze Nacht geregnet – gemessen. Die Entscheidung fällt, trotz Bedenken der Pegel könne zu hoch sein, aufs Ötztal. Walzenbügeln und Wavetrainriding auf dem wuchtigen untersten Abschnitt der Ötz sind angesagt. Dort angekommen zollen wir unserem überbordendem Optimismus erst einmal Tribut. Die Ötz hat mehr Suppe als wir bestellt haben und zusammen mit den heute nicht mehr so angenehmen Temperaturen und dem Umstand dass es immer noch regnet führt dies zur Entscheidung das Ötztal direkt wieder zu verlassen und dafür der Loisach einen Besuch abzustatten.

Gesagt, getan. So genießen wir noch einmal herrliche Naturslaloms welche auch die wenig Wasser führende Loisach zu bieten hat. Kaum sind wir am Ausstieg angekommen hört es auch direkt auf zu regnen, so dass wir nach dem wir unsere nasse Ausrüstung abgestreift und uns in unsere angenehm trockene Kleidung gehüllt haben auch trocken bleiben. Der dieses Jahr ungewöhnliche Termin gereicht uns auf der Rückfahrt zum Segen, da wir kaum mit heimkehrenden Touristen um die Vorherrschaft auf den, nun fast leeren, Straßen kämpfen müssen. So kommen wir angenehm früh daheim an und können bei Tageslicht abladen und aufräumen. Kaum bin ich selbst daheim angekommen und habe meine Ausrüstung auf die Leine gehängt, lege ich mich in die dampfende Badewanne um mir noch einmal die besten Momente der vergangenen Tage durch den Kopf gehen zu lassen,… und schlafe ein.

Ein (fast) objektiver Bericht von Kilian Eder

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